Aufwind für die Genommedizin in Deutschland - genomDE geht an den Start!
Berlin, 07.12.2021. Die TMF – Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e.V. (TMF) koordiniert ein mit hochrangigen Expertinnen und Experten besetztes Konsortium zum Aufbau von genomDE - einer bundesweiten Plattform für die medizinische Genomsequenzierung. Neben führenden medizinischen Netzwerken und Fachgesellschaften sind auch die betroffenen Patientenverbände mit ihren besonderen Anliegen in das Projekt eingebunden.
Sebastian C. Semler, Geschäftsführer der TMF e.V. dazu: „Es ist sehr zu begrüßen, dass das Bundesministerium für Gesundheit mit der Initiative ‚genomDE‘ die nationale Strategie für Genommedizin und den Aufbau einer nationalen Plattform zur Ganzgenomsequenzierung und -datennutzung voranbringt. Wir freuen uns, dass es gelungen ist, die 14 wichtigsten bundesweiten Initiativen zur Datennutzung und Sequenzierung in der Medizin mit führenden Wissenschaftlern und Experten aus unterschiedlichen Bereichen in einem gemeinsamen Vorhaben zusammenzuführen. Die von der TMF wahrgenommene Koordination wird insbesondere das Ziel verfolgen, die bereits etablierten Strukturen in Forschung und Versorgung bestmöglich zusammenzuführen, Synergien zu nutzen und einschlägigen Patientenvertretungen direkt in die Projektsteuerung einzubeziehen.“
Primäres Ziel von genomDE ist die Verbesserung der Diagnose, Behandlung und Prävention von Erkrankungen. Durch eine zeitnahe Verfügbarmachung der dabei entstehenden, insbesondere genetischen Daten soll genomDE auch die nationale und internationale medizinische Forschung stärken. Für die vorgesehene Laufzeit von drei Jahren wird genomDE vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) finanziert. Da ähnliche Strategien bereits in anderen europäischen Ländern gestartet sind, beinhalten die Förderziele des BMG auch eine Verknüpfung von genomDE mit der 1+Million-Genome-Initiative der EU.
Wissensgenerierende Vernetzung von Versorgung und Forschung
Die labortechnischen Möglichkeiten der Humangenomforschung haben sich in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt. Die Analyse des einzelnen menschlichen Genoms spielt seither auch für medizinische Versorgungskonzepte im Sinne einer „Personalisierten Medizin“ eine immer bedeutendere Rolle. Aktuell ist die klinische Anwendung der Genomsequenzierung auf seltene erbliche Erkrankungen und Krebs beschränkt. Prinzipiell scheint die Genommedizin jedoch für eine Vielzahl von Erkrankungen denkbar und verspricht einen wesentlichen Beitrag zur Schaffung eines modernen Gesundheitssystems in Deutschland und weltweit.
Zentrales Anliegen von genomDE ist der verbesserte Zugang möglichst vieler Patientinnen und Patienten zu sinnvollen klinischen Anwendungsmöglichkeiten einer Genomsequenzierung. Durch die immer effizientere und präzisere Analyse des molekularen Krankheitsgeschehens erlaubt dieses Verfahren immer genauere und schnellere Diagnosen, die präzisere Vorhersage von Wirksamkeit und Nebenwirkungen vieler Therapien und in einigen Fällen sogar eine gezieltere Krankheitsprävention.
Seit 2019 hat das BMG mithilfe von Expertinnen und Experten eine Reihe von Empfehlungen zu Planung, Aufbau und Betrieb einer genommedizinischen Plattform entwickelt. Von Juli 2020 bis März 2021 wurde genomDE zudem durch ein Projekt im Rahmen des EU-Programms zur Unterstützung von Strukturreformen begleitet. Im Juli 2021 hat das BMG schließlich ein Modellvorhaben zur Genomsequenzierung im §64e SGB V verankert. Am Aufbau der dort vorgesehenen genommedizinischen Dateninfrastruktur unter Beteiligung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und des Robert Koch-Instituts (RKI) wird sich genomDE ebenfalls unterstützend beteiligen.
Positionen der beteiligten Konsortien
ACHSE e. V., Berlin
„Der Diagnosestellung bei Seltenen Erkrankungen, von denen ca. 80% eine genetische Ursache haben, ist häufig langwierig. Die genomDE-Initiative hat das Potential, den Weg zur gesicherten Diagnose für die von einer Seltenen Erkrankung Betroffenen zu verkürzen – ihr Erfolg wäre ein Meilenstein in der Versorgung! Wenn es uns noch gelingt, gemeinsam den Zugang zur Diagnostik für unsere Patientinnen und Patienten gut zu organisieren, dann wird genomDE ein echter Gewinn für alle.“
Dr. Christine Mundlos, stellvertretende Geschäftsführerin, Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) e.V.
Haus der Krebs-Selbsthilfe – Bundesverband e.V. (HKSH-BV), Bonn
„Menschen mit einer Krebserkrankung haben ein Interesse an der umfassenden Einbindung der Genomsequenzierung in die Versorgung. Gleichzeitig besteht ein großes Informationsbedürfnis zu den gesundheitlichen Chancen und Risiken, und zum Schutz der genetischen und medizinischen Daten. Wir begrüßen es daher sehr, dass die persönliche Erfahrung und das Wissen der Betroffenen in die interdisziplinäre Entwicklung der Plattform genomDE zur medizinischen Genomsequenzierung eingebunden werden.“
Hedy Kerek-Bodden, Vorsitzende, Haus der Krebs-Selbsthilfe – Bundesverband e.V. (HKSH-BV)
zielGENau e.V. – Patienten-Netzwerk Personalisierte Lungenkrebstherapie, Köln
„Für Lungenkrebspatienten wurde die molekulare Diagnostik und die Ableitung einer personalisierten Therapie zum Schlüssel für ein deutlich längeres Überleben mit verbesserter Lebensqualität. Der Zugang möglichst vieler Patienten zu innovativen Medikamenten und die Sicherstellung der Qualität von Diagnostik und Therapieempfehlung erfordern vernetzte forschungsnahe Strukturen, wie sie durch das nationale Netzwerk Genomische Medizin Lungenkrebs bereits exemplarisch umgesetzt wurden. Wir hoffen, dass genomDE auf diese richtungsweisenden Infrastrukturen aufbaut.“
Bärbel Söhlke, Vorstandsmitglied, zielGENau e.V. – Patienten-Netzwerk Personalisierte Lungenkrebstherapie
Deutsche Gesellschaft für Humangenetik, Tübingen
„Eine rasche und eindeutige Diagnose ermöglicht bei seltenen Erkrankungen und familiären Tumorsyndromen ein auf den einzelnen Patienten und seine Angehörigen abgestimmtes Management. Sie ist auch Voraussetzung für das Angebot zielgerichteter Therapien. Für den Teil der mehr als 2 Millionen Patienten mit einer seltenen Erkrankung in Deutschland, die mit bisherigen Methoden keine wegweisende Diagnose erhalten konnten, besteht nun die große Chance, endlich die Ursache der eigenen Erkrankung zu erfahren.“
Prof. Dr. Olaf Rieß, Ärztlicher Direktor, Institut für Medizinische Genetik und Angewandte Genomik, Universitätsklinikum Tübingen; Präsident, Deutsche Gesellschaft für Humangenetik
Institut für Humangenetik, Bonn
„Bei den Seltenen Erkrankungen konnte in den letzten Jahren durch die Exomsequenzierung, die alle kodierenden Regionen des menschlichen Genoms in einem Schritt analysiert, ein großer Fortschritt in der Diagnostik erzielt werden. Ein logischer nächster Schritt ist die Sequenzierung des gesamten Genoms, bei der auch krankheitsverursachende Mutationen in nicht-kodierenden Regionen des Genoms entdeckt werden können. Die Genomsequenzierung stellt aber besondere Herausforderungen an die Interpretation der erzeugten Daten, die man durch gemeinsame Anstrengungen wie in genomDE meistern kann.“
Prof. Dr. Markus Nöthen, Direktor, Institut für Humangenetik, Universitätsklinikum Bonn
Zentrum für Seltene Erkrankungen (BCSE), Berlin
„Patientinnen und Patienten mit einer Seltenen Erkrankung müssen oft jahrelang auf ihre Diagnose warten, sie erleben eine ‚Diagnose-Odyssee‘. Dank der Fortschritte der Genommedizin kann diese Zeit deutlich verkürzt werden. Im Innovationsfondprojekt ‚Translate-Namse‘ haben wir gezeigt, dass es durch eine Exomsequenzierung bei 30% dieser Betroffenen möglich ist, eine exakte Diagnose zu stellen – nach vielen Jahren Ungewissheit. Die für diesen Erfolg notwendige interdisziplinäre Zusammenarbeit von Expertinnen und Experten der Humangenetik, Informatik und klinischen Versorgung kann nun in genomDE fortgesetzt werden. So werden wir auch die Forschungserfolge bei der Genomsequenzierung im besten translationalen Sinne für die klinische Diagnostik von Menschen mit Seltenen Erkrankungen nutzbar machen.“
Prof. Dr. Heiko Krude, Leitung, Berliner Centrum für Seltene Erkrankungen (BCSE), Charité – Universitätsmedizin Berlin
Deutsches Netzwerk für Personalisierte Medizin (DNPM/ZPM), Tübingen
„Mittlerweile werden bei praktisch allen fortgeschrittenen Krebserkrankungen genomische Analysen für individuelle Therapieangebote genutzt, insbesondere wenn die Standardoptionen ausgeschöpft sind. Die Zentren für personalisierte Medizin, die sich im Deutschen Netzwerk für personalisierte Medizin (DNPM) zusammengeschlossen haben, bieten hier ein bundesweit zugängliches und qualitätsgesichertes Versorgungsangebot. Schon jetzt wird an den Zentren auch der Einsatz molekularer und genomischer Informationen für andere Krankheitsbilder erprobt. Die Vernetzung unter dem Dach von genomDE erlaubt es, die Erkenntnisse einzelner Zentren rasch in eine flächendeckende, wissensbasierte Versorgung zu überführen und so einen realen medizinischen Mehrwert für den individuellen Patienten zu erzeugen.“
Prof. Dr. Nisar Malek, Ärztl. Direktor, Innere Medizin I, Universitätsklinikum Tübingen
Deutsches Konsortium Familiärer Brust- und Eierstockkrebs (DK), Köln
„Für rund 30-50% aller Brustkrebserkrankungen sind vererbte genetische Risikofaktoren zumindest mitverantwortlich. Die erfolgreiche Einführung einer auf der klinischen Anwendung basierenden Gendiagnostik konnte im Deutschen Konsortium Familiärer Brust- und Eierstockkrebs bereits belegt werden. Hierbei gehen die Suche nach neuen Risikogenen, die darauf basierende Risikoermittlung und die risikoadaptierten Präventionsmaßnahmen Hand in Hand. Die Etablierung von genomDE bietet die einmalige Chance, die verbliebene unerklärte Erblichkeit des Brust- und Eierstockkrebs aufzudecken und dieses Wissen unmittelbar zum Nutzen der Betroffenen in die Klinik einzuführen.“
Prof. Dr. Rita Schmutzler, Direktorin, Zentrum Familiärer Brust- und Eierstockkrebs, Universitätsklinikum Köln
nationales Netzwerk Genomische Medizin-Lungenkrebs (nNGM), Köln
„Von einer molekular gesteuerten Präzisionstherapie können schon jetzt 30% der Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs mit einer um Jahre verlängerten Überlebenszeit bei guter Lebensqualität profitieren. Im nationalen Netzwerk Genomische Medizin Lungenkrebs werden die hierzu notwendige molekulare Diagnostik und Therapie allen in Frage kommenden Patienten in Deutschland zugänglich gemacht und kontinuierlich evaluiert. Die genomDE Initiative ermöglicht die Entwicklung und Anwendung personalisierter Therapieansätze auch für Patienten, für die es diese Möglichkeiten aktuell noch nicht gibt.“
Prof. Dr. Jürgen Wolf, Ärztlicher Leiter Centrum für Integrierte Onkologie, Universitätsklinikum Köln; Sprecher, nationales Netzwerk Genomische Medizin-Lungenkrebs (nNGM)
Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT - MASTER, DKFZ), Heidelberg
„Seit die individuellen Eigenschaften bösartiger Tumoren bei der Behandlung der Betroffenen berücksichtigt werden, hat sich die Krebsmedizin grundlegend gewandelt. Insbesondere die Kenntnis der für eine Krebserkrankung verantwortlichen erworbenen und erblichen genetischen Faktoren ermöglicht eine ‚personalisierte‘ Auswahl der richtigen Therapie zum richtigen Zeitpunkt. Um diesen Weg konsequent weiterzugehen, begrüßen wir außerordentlich die Bestrebung, durch genomDE die Analyse vollständiger Tumorgenome in der Routineversorgung von Krebspatienten zu verankern.“
Prof. Dr. Stefan Fröhling, Geschäftsführender Direktor, Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg
Institut für Pathologie, Heidelberg
„Die molekularpathologische Diagnostik hat zu großen Fortschritten bei der Behandlung krebskranker Menschen geführt. Bislang ist es aber noch schwierig, diese Untersuchungsmöglichkeiten und Therapien allen Patientinnen und Patienten bieten zu können, die sie brauchen. Auf diesem Weg sind nationale Initiativen wie das Deutsche Netzwerk für Personalisierte Medizin ebenso wie die neue Gesetzgebung im §64e SBG V wesentliche Schritte. Das Projekt genomDE bietet die Möglichkeit, diese Aktivitäten zu bündeln und weiter zu entwickeln, damit die Errungenschaften der modernen Krebsmedizin möglichst allen Patienten zugutekommen können.“
Prof. Dr. Peter Schirmacher, Direktor, Institut für Pathologie, Universitätsklinikum Heidelberg